Es ist eine ungewöhnlich interessante Sache, wie weit Gelehrte, die ihr ganzes Leben der Aufgabe widmen, Täuschungen von der Wirklichkeit zu unterscheiden, nicht dazu imstande sind, die eigenen Träume über die Wissenschaft von der wirklichen Gestalt der Wissenschaften zu unterscheiden. Vor allem gibt es außerhalb der Träume keine irgend eine Wissenschaft, es gibt heute nur einzelne Wissenschaften, die in vielen Fällen keine Verbindung miteinander haben und von denen einige in ihren grundlegenden Eigenschaften auseinanderlaufen. Über die Wissenschaft kann man nur so sprechen wie wir das Wort ‚die Kunst‘ verwenden, um das Gemeinsame in den Bestrebungen von Musik, Malerei und Dichtung usw. zu belegen. (Fleck, Ludwik (1946): Wissenschaftstheoretische Probleme. In: Zittel, Claus/Werner, Sylvia (Hrsg.) (2010): Ludwik Fleck. Denkstile und Tatsachen: Gesammelte Werke, Zeugnisse und Schriften. Berlin, S. 369.)
Ludwik Fleck stellt in seinen verschiedenen Beiträgen zu Denkstilen und Denkkollektiven die kulturelle Bedingtheit von Wissenschaft fest und postuliert, dass es diese eine Wissenschaft eigentlich gar nicht gibt. Vor allem in kommunikativen Praktiken – dies wird allerdings in Flecks Arbeiten nur implizit angedeutet – äußern sich diese unterschiedlichen Wissenschaftskulturen und werden zugleich erst durch sie konstituiert.
Im Workshop wollen wir die ganze Breite sprachlicher (Fachvokabular, Metaphern etc.), bildlicher (Illustrationen) und diagrammatischer (wissenschaftliche Visualisierungen, Diagramme etc.) Zeichen in Bezug auf ihre kulturelle Bedingtheit betrachten. Dabei interessieren uns sowohl die kommunikativen Praktiken selbst, als auch die Metadiskurse darüber. Also einerseits die Frage, welche kommunikativen Praktiken vorherrschen und ob und wie diese als Ausdruck von Denkstilen oder wissenschaftlichen Kulturen gesehen werden können, wie auch andererseits, inwiefern diese kommunikativen Praktiken und ihre Position zu vorherrschenden Denkstilen (affirmierend, negierend, kritisierend etc.) in der wissenschaftlichen Disziplin selber thematisiert werden. Neben den kommunikativen Kulturen in der Linguistik sind auch diejenigen der angrenzenden Disziplinen (Computerlinguistik, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaften, Digital Humanities) von Interesse. Besonders aufschlussreich scheinen uns gerade auch (Sub-)Disziplinen zu sein, die unterschiedliche Wissenschaftskulturen vereinen (Computerlinguistik, Korpuslinguistik, Digital Humanities).
Gleichzeitig sollen aus einer methodologischen Perspektive die Möglichkeiten und Grenzen sowohl korpus- und computerlinguistischer als auch text- und diskurslinguistischer Ansätze für die Herausarbeitung wissenschaftskultureller Aspekte diskutiert werden.
Der Workshop findet am 18./19. Juli 2016 an der Universität Zürich statt (Mittag 18. bis Nachmittag 19. Juli). Vorschläge in Form von Abstracts (max. 2500 Zeichen) für diskussionsanregende Kurzvorträge von 20 Minuten werden bis zum 30. April erbeten an workshop2016@visual-linguistics.net. Bis 22. Mai erfolgt dann die Entscheidung über die Annahme des Vortragsvorschlags.
Es wird keine Tagungsgebühr erhoben, es können aber auch keine Reise- oder Hotelkosten übernommen werden.
Programm
Jetzt ist das Programm verfügbar:
Montag, 18. Juli 2016
13.00 Uhr |
Get together |
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13.30 Uhr |
Martin Volk, Leiter Institut für Computerlinguistik, Universität Zürich |
Begrüßung |
13.35 Uhr |
Noah Bubenhofer (Zürich), Philipp Dreesen (Bremen), Nina Kalwa (Darmstadt), Klaus Rothenhäusler (Zürich) |
Begrüßung und Einführung |
14.00 Uhr |
Noah Bubenhofer (Zürich) Klaus Rothenhäusler (Zürich) |
Wissenschaftliche Visualisierungen und Wissenschaftskulturen |
14:50 Uhr |
Ruth Mell (Mannheim) |
Kulturlinguistik zwischen Diskursanalyse und Texttechnologie |
15.40 Uhr |
Kaffeepause |
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16.00 Uhr |
Nina Kalwa (Darmstadt) |
Wissenschaftskulturen in der Germanistischen Sprachwissenschaft. Ein linguistischer Zugriff |
16.50 Uhr |
Michael Prinz (Zürich) |
Artes – eruditio – Exzellenz. Zur Historizität von Wissenschaftssprachen und Wissenschaftskulturen |
17.40 Uhr |
Kaffeepause |
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18:00 Uhr |
Hanno Biber (Wien) |
1933 - Wissenschaft in der 'Dritten Walpurgisnacht' von Karl Kraus |
19:30 Uhr |
Gemeinsames Abendessen |
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Dienstag, 19. Juli 2016
9.00 Uhr |
Constanze Spieß (Graz) |
Hybridisierung und Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Praktiken als Prinzipen der Formung von Wissenschaftskulturen |
9.50 Uhr |
Andi Gredig (Zürich) |
Visualisierung im Entwurf Denkkulturen und der Stift in der Hand |
10.40 Uhr |
Kaffeepause |
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11.00 Uhr |
Marcus Müller (Darmstadt) Michael Bender (Darmstadt) |
Digitale Zugänge zu fachwissenschaftlichen Heuristiken (DIGIF) |
11.50 Uhr |
Simon Clematide (Zürich) |
Wissenschaftskulturen in der Computerlinguistik |
12:40 Uhr |
Mittagspause |
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13:40 Uhr
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Felix Steiner (Zürich) |
Bildlichkeit und Fachsprachlichkeit in Energieberichten |
14:30 Uhr |
Philipp Dreesen (Bremen) |
Verstetigte Skepsis als Denkstil der Diskurslinguistik |
15:10 Uhr |
Abschlussdiskussion |
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Ende des Workshops |
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Programm Workshop Wissenschaftskulturen (aktualisiert am 1. Juni 2016)
Tagungsort: Institut für Computerlinguistik, Binzmühlestr. 14, CH-8050 Zürich, Raum BIN 2.A.10
Gäste sind herzlich willkommen und die Teilnahme ist kostenlos. Wir bitten aber aus organisatorischen Gründen um eine Anmeldung per E-Mail.
Kontakte
- Noah Bubenhofer, Institut für Computerlinguistik, Projekt „Visual Linguistics“, Universität Zürich
bubenhofer@cl.uzh.ch
www.bubenhofer.com - Philipp Dreesen, Fachbereich 10: Sprach- und Literaturwissenschaften, Universität Bremen
philipp.dreesen@uni-bremen.de
www.philippdreesen.de - Nina Kalwa, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, Technische Universität Darmstadt
kalwa@linglit.tu-darmstadt.de
https://www.linglit.tu-darmstadt.de/index.php?id=kalwa - Klaus Rothenhäusler, Institut für Computerlinguistik, Projekt „Visual Linguistics“, Universität Zürich
rothenha@cl.uzh.ch
Unterstützung
Der Workshop wird vom Institut für Computerlinguistik der Universität Zürich unterstützt.